Was ist Gestalttherapie?

Die Gestalttherapie wurde in den 1950er Jahren von den Psychoanalytikern Fritz und Lore Perls und dem Soziologen Paul Goodman entwickelt. Besonders revolutionär war es damals, dass Klient und Therapeut sich gegenübersaßen, so dass erstmalig in der Geschichte der Psychotherapie ein direkter und persönlicher Kontakt in der Therapie-
situation möglich war. Seit dem wurde die Gestalttherapie vielfach weiterentwickelt und ihre Wirksamkeit wissenschaftlich untermauert. Im folgenden möchte ich Ihnen gerne die zentralen Konzepte des gestalttherapeutischen Ansatzes vorstellen:

Lebensphilosophie und Haltung
In der Gestalttherapie wird das Leben als ein fortwährender Entwicklungsprozess verstanden. Psychische Störungen blockieren uns in unserer gesunden Entwicklung. In ihrem Ursprung werden sie jedoch verstanden als kreative Anpassung an Erziehungs- und Umwelteinflüsse, die geprägt waren von Mangel oder Zerstörung. Vor diesem Hintergrund machen z.B. Aggressivität, Angst, Lethargie oder Rückzug zunächst Sinn. Erst durch das Auftreten dieser Verhaltensweisen in unangemessenen Situationen oder durch eine einseitige Übersteigerung entwickeln sie eine dysfunktionale und zerstörerische Kraft. Entsprechend gibt es in der Gestalttherapie keine klassischen Einteilungen wie „gesund“, „krank“, „richtig“ oder „falsch“. Gestalttherapeuten begegnen ihren Klienten mit großer Achtung und würdigen den persönlichen Prozess.

Begegnung
Der Kontakt zwischen Therapeut und Klient ist ein zentrales Konzept der Gestalttherapie. Gestalttherapeuten begeben sich mit ihrer therapeutischen Kompetenz, ihrer Lebenserfahrung und all ihren Wahrnehmungen und Emotionen in die Interaktion. Sie verstehen sich nicht als „Experten“ und geben auch keine Handlungsanweisungen oder Lösungen vor. Vielmehr begleiten sie Sie bei Ihrem persönlichen Prozess, sind unterstützend und manchmal auch konfrontierend. Durch die gegenseitige Resonanz zwischen Therapeut und Klient wird so ein bewusstseinserweiternder Prozess in Gang gesetzt.

Jeder Mensch ist einzigartig
Gestalttherapeuten handeln in dem Bewusstsein, dass jeder Mensch einzigartig ist. Deshalb bleiben sie stets neugierig, kategorisieren nicht nach festgelegten Diagnoseschemata, sondern bleiben offen für den aktuellen Prozess. Das bedeutet auch, dass es keine festgelegten Behandlungspläne gibt.

Hier und Jetzt
Der rote Faden in der Therapie ist immer das „Hier und Jetzt“, also das aktuelle Erleben. Ähnlich wie in der Homöopathie können nur die Bereiche verändert werden, die aktuell im Vordergrund stehen. Häufig zeigt sich, dass ein aktuelles Verhalten oder emotionales Erleben eng verbunden ist mit „unerledigten“ Konflikten aus der Vergangenheit. Mit Hilfe der unterstützenden und wohlwollenden Begleitung des Therapeuten wird es dem Klienten möglich, abgespaltene Persönlichkeitsanteile und Emotionen zu durchleben und so in das eigene Selbst zu integrieren. Ziel ist es, die „Gestalt“ zu schließen, subjektive Überzeugungen in der Gegenwart zu hinterfragen und sich wieder zu öffnen für neue Erfahrungen.

Ganzheitlichkeit und Kontakt
Die Gestalttherapie zeichnet sich durch eine ganzheitliche Betrachtungsweise aus, d. h. sie bezieht nicht nur Gedanken und Gefühle in die therapeutische Arbeit mit ein, sondern auch den Körper, die Lebensgeschichte und die aktuellen sozialen Verbindungen. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Förderung der Kontaktfähigkeit – mit sich selbst (den eigenen Gefühlen, Bedürfnissen, Körperempfindungen, Blockaden) und mit anderen Menschen.

Bewusstseinsfördernde Methoden
In der Gestalttherapie wird nicht nur geredet, sondern auch aktiv Neues ausprobiert und erfahren. Je nach Situation und Persönlichkeit können unterschiedliche bewusstseinsfördernde und erlebnisorientierte Methoden eingesetzt werden.

Ein gestalttherapeutischer Prozess kann zwischendurch auch beängstigend, beschwerlich oder unbequem sein - aber immer wieder bereichernd und voller Leben!